„Wer Meer hat, braucht weniger.“ Das ist der Titel eines Buchs, in dem es ums Segeln und das zuweilen puristische Leben an Bord geht. Der Autor Marc Bielefeld beschreibt mit klaren Worten, was viele Freunde des Wassersports so fasziniert: Zeit. Weite. Ruhe. Reduktion. Himmel. Wolken. Wind. Die Pandemie hat diesen Inbegriff von Freiheit noch verstärkt, und so wollen immer mehr Deutsche selbst auf Meeren, Seen und Flüssen herumschippern. Doch braucht es dafür meist einen offiziellen Bootsführerschein. Für unsere Serie „Wie wird man eigentlich …“ machten wir uns auf in eine Boots- und Segelschule, um den Uerdinger Skipper Wilhelm Klümper zu treffen. Wir erfuhren dort einiges über Knoten, Milchreis und die Freude am langsamen Reisen.
An Rheinkilometer 765 liegt die Krefelder Werftmeile, die für urbanes Flair am Flussufer steht und sich im Sommer in einen lebendigen Ort für Freizeit, Sport und Kultur verwandelt. Wir stecken die Füße in den Sand, sehen die Wolken ziehen und schauen entspannt den Binnenschiffen hinterher. Wäre es jetzt nicht schön, das Steuerrad selbst in die Hand zu nehmen und als Freizeitkapitän auf einem Motorboot oder einer Segelyacht unterwegs zu sein? Und was braucht es dazu eigentlich?
Nur wenige Gehminuten von der Rhine Side entfernt, an der Boleystraße, finden wir die kleine Boots- und Segelschule „Meer und Mehr“ des gebürtigen Uerdingers Wilhelm Klümper. Schon das Schild mit der Hausnummer 19 lässt erkennen, dass hier wohl eine echte Wasserratte residiert, denn es zeigt ein weißes Segelschiff und einen Leuchtturm auf hellblauem Grund. Blau abgestimmt ist auch das gesamte Outfit des Inhabers, der uns durch den Garten in einen modernen Schulungsraum führt. Als gelernter Tischlermeister habe er „natürlich“ alle Handwerksarbeiten in dem Holzhäuschen selbst durchgeführt.
„Früher war dies meine Werkstatt für Motorroller“, sagt der 62-Jährige mit einem verschmitzten Lächeln und klingt ziemlich bescheiden. Auf verschiedenen Vespas gewann er noch bis Ende der Neunzigerjahre mehrere Europameistertitel, bis er irgendwann den „Zweitaktmief“ satt hatte und von einem Hobby komplett auf das nächste umsattelte. „Die Segelei als pure Fortbewegung ohne Energie, nur mit Windkraft, begeisterte mich über die Jahre immer mehr. Schon mein Ausbilder für den Motorbootführerschein erkannte früh den Segler in mir. Und ich freue mich jeden Abend auf meine Schüler, das Unterrichten ist ein toller Ausgleich und fühlt sich nicht wie Arbeit an“, sagt er.
Bereits 1990 hatte Klümper nach gründlicher Ausbildung in Neustadt sein Segellehrerdiplom beim Deutschen Segler-Verband (DSV) in Glücksburg abgelegt. Nur ein Jahr später gründete er seine Bootsschule in Uerdingen, die er neben dem Führen des väterlichen Tischlereibetriebs mit viel Ruhe und Geduld aufbaute. Denn die Rahmenbedingungen in Deutschland sind komplex. So gibt es hier mehr als einen Führerschein, wenn man sich auf dem Wasser bewegen möchte. Zudem kann man diese Lizenzen über verschiedene Verbände, wie beispielsweise DSV, ADAC und Deutscher Motorboot- und Yachtverband (DMYV), erwerben. Nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums haben bundesweit rund 88.000 Menschen im Jahr 2019 einen Bootsführerschein gemacht, die tatsächliche Zahl dürfte jedoch weitaus höher liegen, weil ein zentrales Register fehlt. Bevor wir uns den einzelnen Führerscheinen zuwenden, ist Knotenlehre angesagt. Denn der erste praktische Kontakt mit der Seefahrt beginne für viele meist damit, irgendwo eine Leine los- oder festzubinden. Auf den Tischen im Unterrichtsraum liegen daher Holzbrettchen, an denen jeweils eine sogenannte Klampe befestigt ist. „So bezeichnen wir eine doppelarmige Knagge aus Holz, Metall oder Kunststoff zum Belegen von Leinen“, erklärt unser Ausbilder. Sieben Knoten müssten Prüflinge insgesamt knüpfen können, und Fotograf Luis versucht sich sofort am „wichtigsten und schwierigsten Knoten“, wie Klümper amüsiert feststellt. Es geht um den Palstek, der zum Festmachen an Pfählen und Pollern gebraucht wird, aber auch um eine Person, die über Bord gefallen ist, im Wasser zu sichern. Nach ein paar Minuten Übungszeit läuft es für den fingerfertigen Luis schon ganz gut mit Auge, Kreuz- und Achtknoten.
„Wer in Küstengewässern ein Boot mit mehr als 15 PS führen möchte, braucht den Sportbootführerschein ‚SBF See‘. Boote mit geringerer Motorleistung und weniger als 15 Metern Länge lassen sich dort führerscheinfrei fahren“, weiß der Krefelder Skipper. Diese 15-PS-Grenze gelte auch auf Binnengewässern, auf dem Rhein liege sie sogar bei fünf PS. Für stärkere Boote werde der ‚SBF Binnen‘ unter Segel und Motor benötigt. Bis zum Jahr 2017 erhielt man für den ‚SBF See‘ und den ‚SBF Binnen‘ je einen Führerschein, inzwischen gibt es nur noch ein Papier, in dem der Geltungsbereich festgehalten wird. Neben diesen gesetzlichen Führerscheinen, die quasi als Eintrittskarte dienen, bietet Klümper auch die Vorbereitung auf die Funkzeugnisprüfung sowie die freiwilligen Scheine SKS (Sportküstenschifferschein), SSS (Sportseeschifferschein) und SHS (Sporthochseeschifferschein) an, ohne die eine Yacht im Ausland meist nicht zu chartern sei.
„Der Weg zum Bootsschein ist gerade in unseren Breitengraden anspruchsvoller als zum Autoführerschein“, warnt der Segelprofi davor, den theoretischen Prüfungsstoff zu unterschätzen. „Ampeln und Verkehrsschilder gehören hier zu unserem Alltag, aber wie eine Fahrwassertonne aussieht oder was genau die Schifffahrtszeichen bedeuten, das wissen die wenigsten.“ So würden bei der Prüfung zum‚SBF See‘ 30 von 285 „teils sehr anspruchsvollen“ Fragen im Multiple-Choice-Verfahren mit je vier sehr ähnlichen Antwortmöglichkeiten abgefragt, die Theorieprüfung zum Binnenschein für Segel und Motor setze sogar die Beherrschung von 300 Fragen und Antworten voraus.
Klümpers Schüler sind 15 bis 78 Jahre alt, darunter finden sich Angler, Taucher und Menschen, die sich den Lebenstraum vom eigenen Boot erfüllen wollen. Der Theorieunterricht findet in kleinen Gruppen statt, wobei er als Ausbilder „großen Wert“ darauf lege, dass alle auf Anhieb die Prüfung bestünden. Für die Praxisstunden habe er ein anfängerfreundliches Stahlboot mit einem „dankbaren Motor“ angeschafft, das kleine Fehler beim Anlegen verzeihe. „Crashkurse bringen die Leute nicht weiter, ich setze lieber auf intensive und kurzweilige Trainingsstunden mit viel Fachwissen und Anekdoten aus meinem Seglerleben“, erzählt Klümper.
Pro Jahr legt der Skipper immer noch rund 2.500 Meilen selbst auf See zurück. Großbritannien, die Kanalinseln oder Dänemark hat er schon allein umsegelt, aber auch das niederländische Wattenmeer oder Westschweden zählt er als beliebte Reiseziele auf. Weil sein Segelboot am Ijsselmeer liegt, spricht er fließend Niederländisch. Seine Sprachkenntnisse sind so gut, dass er unterwegs alle Harry-Potter-Bände in der niederländischen Fassung gelesen hat. Die nächste Reise ist bereits in Planung: Es soll zunächst für vier Wochen ohne Begleitung nach Skandinavien gehen, er freue sich schon auf sternenklare Nächte, gurgelndes Wasser, Sonnenaufgänge und das Bierchen am Abend. „Viele stellen sich das Segeln immer ganz idyllisch vor“, berichtet er mit ruhiger Stimme. „Aber wenn das Wetter nicht mitspielt, es tagelang nur Milchreis gibt und der Schlafmangel zu groß wird, kann man schnell an seine körperlichen Grenzen kommen.“ Auf der anderen Seite gäbe es keinen besseren Ort, um zur Ruhe zu kommen und die Natur zu erfahren, als ein Segelboot.
Weder die spartanischen Bedingungen noch Wind und Wetter werden Tochter Mona und Partnerin Ursula davon abhalten, im Sommer wieder an Bord zu gehen und gemeinsame Zeit mit ihrem Lieblingsskipper zu verbringen. Sie lassen sich wie Wilhelm Klümper gern ein auf die „unbequemste Art, langsam zu reisen“. Und vermissen doch nichts.